Die Organisation von Nano-Genfähren verstehen
Eine Forschungsgruppe der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München hat die Struktur und das Verhalten von Genfähren beim Transport von RNA-Medikamenten untersucht. Die Erkenntnisse sollen helfen, Wirkstoffe gezielter zu verabreichen.
Das Team um Olivia Merkel beschreibt in einer aktuellen Veröffentlichung, wie sich siRNA (small interfering RNA) am besten in Zellen transportieren lassen. Anhand von Simulationen untersuchten sie dafür auf molekularer Ebene die Organisation der gebildeten Nanopartikel aus RNA und ihrer Carrier-Struktur aus Poly-β-Aminoestern (PBAE).
Diese Verpackungsmaterialien sind in der Lage, die Ladung kleiner RNAs effektiv zu schützen und die instabilen Moleküle unbeschadet in die Zielzellen zu verfrachten. Somit bieten sie eine Alternative zur Verwendung stabilisierter LNAs (Locked Nucleic Acids). Kationische Polymere sind nur eine Klasse unter vielen Genfähren, die für den Transport eingesetzt werden. Je nach konkreter Anwendung sind auch Lipo-Nanopartikel, Dendrimere oder Peptid-basierte und GalNAc-basierte Trägersysteme geeignet. „Wir stellen Genfähren her, in die man alle möglichen therapeutischen Nukleinsäuren einbringen kann, um diese unbeschadet an den Wirkort zu bringen“, erklärt Merkel, Inhaberin des Lehrstuhls für Drug Delivery an der Fakultät für Chemie und Pharmazie der LMU. In verschiedenen Projekten versucht ihr Team, smarte Transportsysteme zu entwickeln, um etwa Lungenerkrankungen effektiver behandeln zu können.
Mithilfe von speziellen Tansferrin-gekoppeltem Poly-Ethyleniminen (Tf-PEI) gelang es, siRNA gegen krankheitsverbundene Gene zielgerichtet in aktivierte T-Zellen der Lunge zu steuern und dort vor der Aufnahme in Endosomen zu bewahren. Für dieses bioresponsive Trägersystem, das sich an die zelluläre Umgebung anpassen kann, hatte Merkel 2020 den Pharmazie-Wissenschaftspreis erhalten. Ihr 2023 gestartetes ERC-Forschungsprojekts RatInhalRNA zur Entwicklung inhalierbarer RNA-Nanocarrier hat neue Erkenntnisse über die Organisation solcher Polymere wie PBAE, PEI oder auch Poly-Spermine-Acrylamide erbracht, die in die gerade im Fachmagazin Nano Letters veröffentlichte Studie einflossen.
Um die Wirkweise optimieren zu können, ist es wichtig, die molekularen Interaktionen von RNA und Carriern besser zu verstehen. „Unsere Forschung nutzte eine Technik namens Coarse-Grained Molecular Dynamics (CG-MD), um die Partikel zu simulieren und zu visualisieren“, erklärte Merkel. Mithilfe der Simulationsmethode lässt sich die Moleküldynamik komplexer molekularer Systeme auf einer vereinfachten, „grobkörnigen“ Ebene modellieren, indem mehrere Atome zu größeren Einheiten zusammengefasst werden.
Lineare, verzweigte Polymere wie PBAE bilden sogenannte Polyplex-Partikel mit der siRNA. Der Fokus der Studie lag dabei auf der Frage, wie Änderungen in der Polymerstruktur und den Umgebungsbedingungen die Partikelbildung beeinflussen. Die Simulationen ließen sich in Laborexperimenten mittels Kernspinresonanzspektroskopie (NMR) bestätigen. Somit kann die CG-MD-Technik detaillierte Einblicke in die Struktur und das Verhalten von RNA-Nanopartikeln liefern, wie Merkel hervorhob: „Diese Studie unterstreicht den Wert von CG-MD bei der Vorhersage und Erklärung der Eigenschaften von RNA-Nanoformulierungen, was die Entwicklung besserer Systeme für zukünftige medizinische Anwendungen unterstützen kann.“
Ein weiteres ERC-Forschungsprojekts namens „RNhale“ beschäftigt sich seit 2022 mit der Möglichkeit, Lipid-Nanopartikel in Pulverform für den zielgerichteten Transport von siRNA zu entwickeln – etwa als Spray zur Therapie von Asthma. Die gleichnamige Firma, die Merkel mitgegründet hat, schlägt die Brücke zur akademischen Forschung. Sie bietet maßgeschneiderte Formulierungen passend zu Krankheit und Zielgewebe an. Durch die Einbettung in inhalierbare Mikropartikel sollen die Lipid-Nanopartikel stabilisiert werden und die Lunge so besser erreichen. Daneben hat Merkel ein Patent (Nr. 20100093094) auf die Entwicklung sogenannter Triazine-Dendrimere, die sich durch ihre definierte und stark verzweigte Struktur auszeichnen und flexibel anpassen lassen. Dank spezifischer Modifikationen können sie gezielt zum gewünschten Gewebe gesteuert werden.
Bisher wurden von der FDA sechs siRNA-Medikamente vor allem für Lebererkrankungen zugelassen: Patisiran etwa verwendet Liponanopartikel zum Transport, die restlichen Medikamente GalNAc-basierte siRNA-Carrier. Mit den aktuellen Entwicklungen bei diversen Trägersystemen könnten bald auch Medikamente gegen andere Erkrankungen dazugehören.